Zirkus Schule

Eigentlich ist Schule immer Zirkus. Ob die Lehrer akrobatische Übungen zwischen  Schülermassen im Treppenhaus vollführen, als Fakire über Müllberge gehen, in lärmenden Klassen Feuer spucken, im Unterricht den Stoff wie ein Kaninchen aus dem Hut zaubern oder zur Motivation des Publikums den Clown machen – irgendwie ist es immer wie in der Manege.

Trotzdem hat uns der Zirkus Sperlich ganz schnell in seinen Bann gezogen, vielleicht weil jeder von uns – Schüler wie Lehrer – ganz neue Seiten an sich entdeckt hat. Natürlich wollten wir erst nicht so recht, als wir Freitag morgens da saßen und am Montag vor unseren Klassen auftreten sollten, wollten uns nicht lächerlich machen, hatten vielleicht genau die Ängste, die unsere Lieben vor einem Referat oder einer Arbeit haben.

Drei Stunden und etliche Übungen später hatte jeder seinen Ort gefunden: die Kollegin, die eigentlich schon im wohlverdienten Ruhestand sein sollte und die Rolle ihres Lebens im Clownskostüm fand, die sonst eher steifen Lehrer, die zu strahlenden Akrobaten wurden, die zierliche Kunstreferendarin, die sich in allen Wurf- und Hebefiguren wiederfand, der überall engagierte Vater, dem am Ende des Projekts die Tränen in den Augen standen.

Wir waren alle redlich erschöpft nach den eineinhalb Wochen, aber es war nicht die bleierne Müdigkeit, mit der man oft aus der Schule kommt, es war eine glückliche Erschöpfung mit diesem unglaublichen Gefühl, das nur kennt, wer hart gearbeitet hat und dann sagen kann: „Wow, wir haben es geschafft und es war toll!“

Ich glaube, so haben es auch unsere Schüler empfunden: ich kann mich an keinen erinnern, der gesagt hätte, „Och, das is' langweilig, könn'n wir nach Haus'?“ Wir hatten kleine Mäuse, die sich als durchtrainierte Turner herausstellten, große Stoffel, die hinter der Clownsmaske 600 Zuschauer begeisterten, Sorgenkinder, die sogar die Zirkusfamilie zu neuen Nummern inspirierten, natürlich auch Nervensägen, die immer noch Nervensägen blieben und trotzdem ganz poetische Tiernummern präsentierten.

Und nicht zuletzt haben wir eine Zirkusfamilie kennengelernt, von der wir uns die eine oder andere Scheibe abschneiden könnten. Wir haben gestaunt über Enrico, der zielsicher für jeden Topf den Deckel fand. Wir haben voller Verwunderung gesehen, wie Edwina mit ganz viel Vergnügen hinter dem Vorhang zu einer Musik tanzte, die ihr eigentlich schon zu den Ohren herauskommen musste, wie der anderthalbjährige Zirkusenkel bereits einbeinig auf Vaters Hand balanciert wurde. Wir haben uns gefragt, wie man das macht, eine Show dreißig Mal im Jahr neu aufzubauen und immer noch so viel Spaß bei der Arbeit zu haben.

Kann man es schöner sagen als Frau Gerlach? „Ich hätte mich so geärgert, wenn ich im Januar in Rente gegangen wäre und das hier nicht erlebt hätte.“